Durch die Arbeit des Sanierungsvereins ‚Ravelin 2‘ hat sich die Ruine in einen modernen Veranstaltungsort mit historischem Antlitz verwandelt.
„Es ist schon ein verrücktes Gefühl, den Schlüssel zur Festung unserer Landeshauptstadt in der Hand zu halten“, gesteht Andreas Witt, stellvertretender Vorsitzender des Sanierungsvereins im Interview. Ganz daran gewöhnt scheint sich der 35-jährige noch nicht zu haben. Das obwohl er als eines von 17 Gründungsmitgliedern auf nunmehr zehn Jahre ehrenamtliche Vereinsarbeit zurückblicken kann. Um dies zu feiern, folgten jüngst knapp 1.000 Besucher dem Ruf zur Geburtstagsfeier in die Gewölbe unterm Glacispark. In Vertretung des Initiators und Vereinsvorsitzenden Rudi Stefanek durfte Witt unter anderem auch Oberbürgermeisterin Simone Borris begrüßen. „Es ist immer wieder eine Freude, hier spazieren zu gehen und zu sehen, was der Verein geschafft hat“, lobte diese in ihrer Ansprache, bevor die Gäste in Führungen mit der bisherigen Vereinsarbeit vertraut gemacht und mit Live-Musik unterhalten wurden.
Was der Verein in den zehn Jahren seiner Existenz alles auf dem Gelände zwischen Tangente und Maybachstraße verändert hat, lässt sich kaum übersehen. Der Ort an dem heute Besucher von Vereinsmitgliedern in historischer Kluft durch die Gänge geführt werden, war jahrzehntelang der Verwahrlosung und Verwitterung ausgesetzt. „Anfangs standen wir im Sand und Dreck“, erinnert sich Andreas Witt. Viele Objekte waren zugemauert, andere nicht gesichert. Die ersten Jahre war der Verein damit beschäftigt, alles vom Schutt zu befreien und zu gucken, was mit der vorliegenden Bausubstanz überhaupt umsetzbar ist.
Andreas Witt denkt gerne an die ersten Sanierungserfolge zurück: „Ich erinnere mich, als wir mitten in der Nacht kurz vor einer Veranstaltung die erste Elektroleitung fertiggestellt haben. Wir standen auf einer Leiter, im Radio lief ‚Don’t Stop Believing‘ von Journey und wir haben fast geheult, weil wir so froh waren, diese Leitung nie wieder anfassen zu müssen.“ Es sei ein riesiger Meilenstein, in einer Bauruine einfach auf einen Lichtschalter drücken zu können, um einen Raum zu erhellen.
Ein weiterer Höhepunkt sei der Anschluss ans Abwassernetz der Stadt gewesen. „Der Vorgang selbst war vielleicht unspektakulär, aber für mich hat es die Welt bedeutet“, erklärt Witt, nach wie vor froh darüber, nie wieder Toilettenkabinen für das ‚Ravelin 2‘ mieten zu müssen. Heute warten auf dem Hof zwei ins Gesamtbild eingepasste Latrinen auf die Gäste. Diese sind auch nötig. Bis zu 40.000 Menschen besuchen mittlerweile jährlich die ehemalige Festungsanlage. Im Laufe der Jahre wurde das alte Gemäuer zum historischen Kulturzentrum umgestaltet.
Kultur sei stets ein wichtiger Teil der Sanierungsarbeit gewesen: „So konnten wir auf den Ort aufmerksam und ihn zu einem Museum Plus machen.“ Mit unzähligen ehrenamtlichen Arbeitsstunden und dank großer Unterstützung durch Förderungen von lokalen Unternehmen, Privatpersonen sowie von Land und Stadt war es dem Verein möglich, verschiedene Ausstellungsräume entstehen zu lassen, die über die Jahre hinweg allesamt entkernt, gesichert und langsam aufgebaut wurden.
„Anfangs wurden wir noch stark von der unteren Denkmalbehörde und der Landeshauptstadt beäugt, aber dies wandelte sich rasch in gegenseitiges Vertrauen“, so Witt. Durch die Vorarbeit der Fachgruppe Festungsanlagen, aus der der Verein hervorgegangen ist, habe man ziemlich genau gewusst, wo welcher Stein hingehört. „Sie haben schnell gesehen, dass man mit uns gut arbeiten kann und wir bei der Sanierung päpstlicher als der Papst sind.“ Mittlerweile hat die Stadt dem Sanierungsverein auch die Obhut über den ans ‚Ravelin 2‘ angeschlossenen Hof des ‚Kavalier V‘ überlassen. Gemeinsam mit Michael Conrad von der ‚Insel der Jugend‘, der am Jubiläum seiner Nachbarn zum Gratulieren vorbei kam, treiben sie auch dessen Sanierung voran.
Generell war dem Verein stets eine gute Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Institutionen und Vereinen der Stadt wichtig. So ist das ‚Ravelin 2‘ zum festen Austragungsort des Spectaculum Magdeburgense und der Magdeburger Festungstage geworden. Allein zu diesem Termin kommen jedes Jahr bis zu 20.000 Besucher in die erneuerte Anlage, um das historische Erbe der Stadt aufleben zu lassen. Auch das Glacis Open Air verwandelt das ‚Ravelin 2’ und den umliegenden Park immer wieder zur Konzertbühne für internationale Musik-Acts. Zur Tradition hat sich mittlerweile zudem der ‚Advent im Ravelin’ entwickelt, der die Vorweihnachtszeit in der Landeshauptstadt alljährlich bereichert. Ein Musikangebot, regionale Köstlichkeiten wie beispielsweise der hauseigene Honig und ein traditioneller Handwerksmarkt sorgen immer wieder dafür, dass aus der einstigen Verteidigungsanlage ein belebter Ort voller erstaunter Besucher wird.
Dennoch bedauerte Simone Borris: „Viele Menschen wissen gar nicht, was für ein schönes Objekt wir hier haben und wie schön das ganze Ambiente ist.“ Zwar sei es für die Vereinsmitglieder immer wieder schön, wenn selbst eingefleischte Mageburger überrascht sind, was für eine Perle das ‚Ravelin 2‘ durch die Vereinsarbeit geworden ist, aber dennoch wolle man mit daran arbeiten, dass die ‚Festung Magdeburg‘ inner- und außerhalb der – zum Teil noch vorhandenen – Stadtmauern immer mehr zur Marke wird.
Dass die Ravelin-Retter im vergangenen Jahr die 150-Jahrfeier des Denkmals zelebrieren konnten, ist das bislang wohl wichtigste Ereignis in der zehnjährigen Vereinsgeschichte. Witt: „Ohne diese hätte die Anlage wohl den größten Preis bezahlt: das Vergessen.“
Vor dem Vergessen bewahrt sollen die bisherigen Events und regelmäßigen Führungen mit Reenactment-Charakter aber nicht das Ende der Fahnenstange für den historischen Bau bleiben. „Wir sind noch nicht fertig, wir möchten unsere Vision fortführen und das Ravelin zu einem Zentrum des Festungstourismus machen. Die vergangenen zehn Jahre waren eher Mittel zum Zweck, um dafür die Grundlage zu schaffen“, erklärt der stellvertretende Vereinsvorsitzende. Magdeburgs Oberbürgermeisterin teilte am Geburtstag diese Vision: „Perspektivisch wollen wir nicht nur die Innenstadt von Besuchern durchströmen lassen, sondern auch die Schätze, die drumherum versteckt sind, erschließen.“ Dafür soll eine Stadtrundfahrt mit Hop-On-Hop-Off-System eingeführt werden, die verschiedene Sehenswürdigkeiten in der Landeshauptstadt miteinander verbinden soll. Touristen könnten dann selbst entscheiden, wann und wo sie ein- und aussteigen. Beispielsweise am ‚Ravelin 2‘. „Es geht darum, die Festungswerke innerhalb der Stadt besser zu verbinden. Wir haben dafür einige Sachen in Planung“, blickt Witt voraus.
Mittlerweile ist die Größe des Sanierungsvereins auf stolze 120 Mitglieder angewachsen. „Wir sind ein Querschnitt der Magdeburger Bevölkerung. Wir sind durch alle Altersschichten und Berufsgruppen vertreten, aber man kann nie genug Mitglieder haben,“ heißt Andreas Witt auch mögliche neue Mitstreiter willkommen, die sich dem großen Freundeskreis künftig anschließen wollen. „1,2 Hektar Fläche müssen gepflegt werden und die Veranstaltungen werden perspektivisch hoffentlich noch größer und zahlreicher“, erläutert der Vertriebsingenieur. Nach zehn Jahren gelte der Dank nicht nur denen, die bisher ehrenamtlich mitgeholfen haben, sondern auch allen anderen Unterstützern und Behörden, die den Weg vom Lost Place zum Kulturzentrum in der vergangenen Dekade begleitet haben.
Das ‚Ravelin 2’ selbst hatte eine wechselhafte Geschichte. Als Festung geplant wurde es lange Zeiten als Lagerdepot und Notunterkunft genutzt. In den Führungen des Vereins stünden immer drei Fragen im Vordergrund: „Was war der ursprüngliche Plan? Wie sah die Nachnutzung aus? Und was machen wir daraus?“ Die Antwort auf die letzte Frage ist mittlerweile leicht zu beantworten. Mit der Sanierung eines ehemaligen Wallschilds hat sich der Verein zu einer Speerspitze der Erneuerung im kulturellen Leben der Landeshauptstadt und darüber hinaus entwickelt. Mit dem Schlüssel zur historischen Festungsanlage haben Andreas Witt und seine Mitstreiter vielleicht also mehr als nur einen Türöffner in ihren Händen – er hat einen vergessenen Teil der Stadt wieder zugänglich gemacht.
Kommende Veranstaltungen im ‚Ravelin 2’:
- 8. September 2024, 11 bis 17 Uhr: Tag des Offenen Denkmals
- 26. Oktober 2024, 18 Uhr: Musikalische Horrorlesung mit dem Wohnzimmertheater
- 27. Oktober 2024, 14 Uhr: Führung ‚Festungsbauten der Kaiserzeit‘
- 8. Dezember 2024: Advent im Ravelin
Weitere Informationen unter:
[www.ravelin2-magdeburg.de]
Kommentare